Politische Bildung und bürgerschaftliches Engagement - Bildungsangebote im Spannungsfeld unterschiedlicher Professionen

von Theo W. Länge und Barbara Menke

Wahrscheinlich geht es anderen Einrichtungen auch so: Immer wieder wächst in den internen Auswertungsrunden der Bildungspraxis die Erkenntnis, dass die Struktur der Teilnehmenden in Veranstaltungen der politischen Bildung sich langsam aber sicher verändert, dass zunehmend mehr ältere Frauen und Männer teilnehmen. Deutlich wird auch, dass diese Zielgruppe sich häufig sehr engagiert in das Seminargeschehen einbringt. Aus den vielen Nebengesprächen während solcher Veranstaltungen wird ein weiteres Phänomen beschrieben: viele aus dieser Zielgruppe verfügen über drei ganz zentrale Fähigkeiten, drei ganz zentrale Potentiale: sie haben Zeit - sie haben Erfahrung im Umgang mit Menschen - sie haben Kompetenzen. Diese Potentiale werden aber häufig in den Seminaren nicht genügend gefördert und nicht nachhaltig genug eingebunden. Gleichzeitig konstatieren wir folgendes Phänomen: In den verschiedenen Aktivitäten und Entwicklungen, die zum Themenfeld bürgerschaftlichen Engagements in Zeitungen, Wissenschaft und Politik diskutiert werden, kommt eine Gruppe kaum oder gar nicht vor, nämlich eine unserer Zielgruppen: ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Diese Beobachtungen spiegeln sich auch in den verschiedenen Veröffentlichungen, die aufzeigen, welche Zielgruppen derart im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements sichtbar aktiv sind. Nicht zuletzt die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ hat in ihren Forderungen noch einmal ganz deutlich bestätigt, dass die Gruppe der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, der älteren Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen und früheren Betriebs- und Personalräte bislang wenig Berücksichtigung gefunden haben. Gerade Letztgenannte haben aber auf Grund ihres früheren funktionsbedingten Engagements eine hohe Motivation für ehrenamtliche Aktivitäten. Die Enquete-Kommission regt insbesondere Parteien und Gewerkschaften an, durch neue Beteiligungsformen deren Aktivitätspotential zu nutzen.

Unsere Idee

Ausgehend von diesen Beobachtungen, Feststellungen und Analysen hat Arbeit und Leben ein Projekt unter dem Titel MoQua: „Motivation und Qualifikation von älteren Erwachsenen für das bürgerschaftliche Engagement“ auf den Weg gebracht. An den Fertigkeiten und Fähigkeiten älterer Menschen anzusetzen, deren Erfahrungen wahr und ernst zu nehmen, sie zielgerichtet weiterzuentwickeln, das ist der Grundgedanke dieses Projekts. Wir gehen davon aus, dass darauf ein Erfahrungs- und Wissensschatz entsteht, der nicht nur den Beteiligten etwas gibt, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung voranbringt. Als Bildungsträger ist es nicht weiter verwunderlich, davon auszugehen, dass Motivation und Qualifikation zentrale Voraussetzungen für ein gelungenes Engagement sind. Von daher möchten wir mit dem Projekt ein Modell entwickeln, das darüber Aufschluss gibt, wie der Erfahrungsschatz von Menschen, das heißt wertvolles, soziales, politisches und kulturelles Wissen gehoben und zur Stärkung des Gemeinwohlgedankens genutzt werden kann. Für die Umsetzung des Projekts setzen wir dabei auf eine Mischung von „klassischen, seminaristischen Angeboten“ und darüber hinaus auf prozessorientiertes Arbeiten, das weitgehend von den Gruppen selbst bestimmt wird. Für den Bereich der Qualifizierung haben wir zunächst sogenannte „Grundbausteine“ entwickelt, in denen den Teilnehmenden ein Basiswissen über die Veränderungen in unserer Gesellschaft vermittelt wird. Die Grundbausteine umfassen u.a. Themen wie: demographischer Wandel und Kultur, Strukturen, Akteure und Inhalte lokaler Seniorenarbeit, Kultur und Perspektiven bürgerschaftlichen Engagement, aktive Bürgerschaft Älterer in Europa. Daneben werden aber in der Basisqualifizierung auch Grundelemente von Didaktik und Methodik sowie Öffentlichkeitsarbeit angeboten. Wie aber können wir Teilnehmende motivieren, sich auf eine solche Qualifizierung einzulassen? In acht Landesorganisationen von Arbeit und Leben, in denen das Projekt umgesetzt wird, haben die pädagogischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen aufwändigen Weg beschritten, die fragliche Zielgruppe anzusprechen. Fast ein wenig im Sinne einer „aufsuchenden Arbeit“ sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunächst auf die Teilnehmenden zugegangen, haben einzelne Personen oder solche Personen aus bereits existierenden Kleingruppen angesprochen und mit ihnen darüber reflektiert, welche Formen von Aktivitäten sie sich vorstellen können und welchen Bedarf an Qualifizierung sie für sich selbst sehen. Aus diesen Ergebnissen heraus wurden die Grundmodule entwickelt und werden nun in mehrtätigen Veranstaltungen oder auch Tagesveranstaltungen in die Praxis umgesetzt.

Was ist aber nun anders als in anderen Veranstaltungen der politischen Erwachsenenbildung?

Anders ist, dass es explizites Ziel der Veranstaltungen ist, die Teilnehmenden selbst zu aktivem Engagement im Gemeinwesen hin zu orientieren. Das heißt, wir bleiben nicht dabei stehen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren und potentielle Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sondern wir unterstützen tatkräftig dabei, dass sich die Teilnehmenden auch konkret in die Engagementfelder, für die sie sich interessieren, einbringen können. Das Einbringen bezieht sich dabei nicht nur auf ein persönliches Engagement, sondern richtet sich auch daran aus, dass nach einer Qualifizierung die Teilnehmenden selbst Gruppen aufbauen, die dann auch später ohne Projektbegleitung aktiv bleiben können.

Was hat sich bislang konkret entwickelt?

Sich selbst auch aktiv im Gemeinwesen zu erleben, in die Rolle eines Multiplikators oder einer Multiplikatorin zu schlüpfen, das ist letztendlich das Ziel des Projekts MoQua. Die Felder, in denen dieses Engagement wirksam werden soll, definieren die Teilnehmenden selbst. Im Folgenden werden drei Beispiele vorgestellt, die sich bislang aus dem Projektkontext heraus entwickelt haben:
  • Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg hat in enger Kooperation mit ver.di eine Gruppe von ehemaligen Betriebsräten aufbauen können, die Interesse daran haben, mit jungen Menschen in Kontakt zu treten und mit ihnen ihr Lebensthema, nämlich die Frage von Demokratie im Betrieb zu thematisieren. Entstanden ist eine kleine Gruppe von Männern und Frauen, die sich vorgenommen hat, in Berliner Schulen, insbesondere in Schulabgangsklassen, dieses Thema in den Unterricht einzubringen. Von den Lehrern und Lehrerinnen und den Schulleitungen wurde diese Idee sehr offen aufgenommen und mittlerweile sind feste Kooperationsvereinbarungen darüber entstanden, in welchen Schularten und Schulklassen unsere MoQua-Kolleginnen und –kollegen unterrichten können. Die ersten Erfahrungen sind auch bereits gemacht. Nach anfänglicher Irritation von Seiten der Schüler und Schülerinnen sowie Such- und Lernbewegungen der „Aktivisten“ kam es doch sehr schnell zu lebendigen Diskussionen darüber, wie heute ein Arbeitsalltag in einem Betrieb aussieht, welche Chancen und Möglichkeiten es gibt, auch diesen Teil der Lebenswelt nach demokratischen Prinzipien zu gestalten. Auch wurde deutlich, dass das Unterrichten eine nicht ganz so einfache Sache ist, dass Inhalte gut aufbereitet werden müssen und für die Umsetzung sowie für die inhaltliche Auseinandersetzung ein breites Hintergrundwissen vorhanden sein muss. So hat sich die Gruppe nun auf den Weg begeben, den man damit umschreiben kann, dass sie Theorie und Praxis ihres Tuns gleichsam erleben möchten. Sie unterrichten und qualifizieren sich nach den jeweiligen Erfahrungen fortlaufend weiter. Es ist bereits daran gedacht, dieses Konzept in den Bereich Ganztagsschule und außerschulische politische Bildung zu übertragen.
  • Eine andere Gruppe hat ihr Herz für den Lokalfunk entdeckt. Bei Arbeit und Leben Niedersachsen gibt es engagierte Männer und Frauen, die ein Engagementfeld suchten, in dem sie ihr früheres Engagement in den Gewerkschaften mit der Nutzung der Stadtteilmedien verbinden können. Entstanden ist eine Gruppe, die sich zu so genannten „gewerkschaftlichen Lokalreportern“ qualifizieren möchte. Die Gruppenmitglieder arbeiten allgemeine gesellschaftspolitische Themen, die ihnen aus ihrer Tradition als Gewerkschafter besonders wichtig sind auf und kommunizieren sie über den Lokalfunk in die verschiedenen Stadtteile hinein mit dem Ziel, die gesellschaftspolitische Diskussion im Gemeinwesen anzuregen. Auch wollen sie sich in doppelter Weise weiterbilden: die Sachkompetenz zu gesellschaftlichen Themen ist ebenso von Bedeutung für ihr Engagementfeld wie der kompetente Umgang mit dem Medium Radio.
  • Arbeit und Leben Hessen hat einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Aus einer regen Teilnahme an den Veranstaltungen der politischen Erwachsenenbildung hat sich ein Kreis von älteren Personen gebildet, die für sich selbst das Interesse artikuliert haben, dass die einmal als Teamer und Teamerinnen in der politischen Bildung arbeiten möchten. Das Projekt MoQua bietet nun die Möglichkeit, den Schritt vom Teilnehmenden zum Teamenden zu machen. Auch hier ist eine Verbindung von Sachkompetenz und Vermittlungskompetenz gefordert und dies wird durch die verschiedenen Arbeiten im Rahmen der Qualifizierung auch angeboten.

Wo gehören wir nun hin?

Irgendwie ist unser Projekt „between“. Nirgendwo, so scheint es, gehören wir richtig dazu. Um politische Bildung zu sein, haben wir teilweise zwar Veranstaltungen, die heutigen Förderkriterien genügen würden. Aber im Kern wäre es wohl schwierig, das Projekt als ein Projekt der politischen Bildung zu definieren, da es eben neben den gesellschaftspolitischen Sachthemen auch so genannte Schlüsselqualifikationen, wie etwa soziale und kommunikative Kompetenz, vermittelt und auch das aktive (zuweilen partei-nehmende) Handeln unterstützt. Machen wir Seniorenarbeit? Gegen diese Begrifflichkeit würden sich sicherlich die Teilnehmenden ganz massiv wehren, weil sie ihr Engagement nicht verstanden wissen wollen als eine Beschäftigung für ältere Menschen. Qualifizieren wir für das Ehrenamt/bürgerschaftliche Engagement? Ja das tun wir – aber wir tun es mit dem Anspruch, durch unsere Art der Arbeit ganz bewusst gesellschaftspolitische Themen in den Vordergrund zu stellen und die Teilhabe am Gemeinwesen zu stärken. In diesem Sinne tun wir sicherlich auch etwas zu Stärkung der Zivilgesellschaft. Querliegend zu den verschiedenen Professionsbezügen sind wir sicher, dass wir Folgendes tun: Wissen vermitteln, die Urteilsbildung fördern und zur Mitwirkung anregen. In diesem Sinne wiederum ist das Projekt MoQua „klassische politische Bildung“. Möglicherweise spiegelt sich in der Projektidee auch das wider, was als Herausforderung und Entwicklungsaufgabe im Abschlussbericht zu Evaluation der politischen Bildung formuliert wurde: „...das Verhältnis zwischen den neuen sozialen Bewegungen und den institutionellen Einrichtungen politischer Bildung ist gespalten. Auf der einen Seite werden die sozialen Bewegungen und Initiativen als Gruppen gesehen, die neue Themen anstoßen und in die Öffentlichkeit bringen. Auf der anderen Seite wird von vielen institutionellen Einrichtungen politischer Bildung die Verbindung von Bildung und Aktion, die die Arbeit der sozialen Bewegungen auszeichnet, nicht anerkannt. Dies liegt in der Trennung von Aktionen und Bildungsprozessen und der damit verbundenen Beanspruchung des Bildungscharakters innerhalb der politischen Bildung begründet.“ Auch wenn wir sicherlich unter Professionsaspekten mit dem Projekt zwischen alle „Fronten“ geraten sind, so sind wir doch sicher: das was wir tun macht Sinn.

Der Beitrag ist erschienen in: kursiv, Journal für politische Bildung, Heft2 (2005), S.74-76.

 
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