„Aus freien Stücken“ – Motivation und Qualifikation für das bürgerschaftliche Engagement

I. Ausgangslage

Der demografische Wandel in unserer Gesellschaft ist seit Jahren ein zentrales öffentliches Thema. In der Regel stehen dabei die Schwierigkeiten im Vordergrund, die dieser Wandel und damit das Älterwerden der Gesellschaft für den Staat, die Unternehmen und auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger mit sich bringt. Was in diesem Diskurs häufig verloren geht, ist die Tatsache, dass das Älterwerden in vielfältiger Weise auch mit spezifischen „Potenzialen“ verbunden ist. In der Forschung weiß man das längst und in einer Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen sind diese „Potenziale des Alterns“ bereits hinreichend benannt und diskutiert worden. In der Alltagskommunikation und in den Medien bleibt diese Seite des demografischen Wandels freilich bislang noch unterbelichtet.

Das hat auch damit zu tun, dass der Erfahrungsschatz des Alters nicht nur neu beleuchtet, sondern zum Teil erst gehoben werden muss. Dazu eignet sich vorzüglich die Weiterbildung – namentlich auch die politische Bildung. Speziell auf die Zielgruppe der Älteren gerichtete Bildungsarbeit kann nämlich einen Beitrag dazu zu leisten, die guten und produktiven Seiten des Älterwerdens und des Alters stärker herauszuheben und ihre durchaus positive Bedeutung für die Gesellschaft der Zukunft zu akzentuieren. Dies war Anlass und eine wichtige Zielperspektive für das Projekt „MoQua“: Motivation und Qualifikation von älteren Erwachsenen für das bürgerschaftliche Ehrenamt.

Dieses Projekt verdankt seine Entstehung noch einer zweiten gesellschaftspolitisch virulenten Diskussion: den zahlreichen Debatten, die über das ehrenamtliche Engagement in der heutigen Gesellschaft geführt werden. Sie vor allem haben die Bildungseinrichtung ARBEIT UND LEBEN bei den Überlegungen für das hier in Rede stehende Projekt beeinflusst.

Dabei wurde von Anfang an dem Strukturwandel, dem das Ehrenamt heute unterworfen ist, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Während früher ehrenamtliches Engagement häufig mit altruistischen Einstellungen, mit Selbstlosigkeit und Nächstenliebe, aber auch mit unbefragter Einordnung in Hierarchien verbunden war, stehen heute, wenn sich Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich oder bürgerschaftlich engagieren, sehr viel stärker sogenannte individualistische Motive im Vordergrund. Das „neue Ehrenamt“ ist, salopp gesprochen, eine eher selbstbezogene Angelegenheit, was im übrigen nicht nur für jüngere, sondern auch für ältere Menschen gilt. Dabei verschwinden allerdings die altruistischen Einstellungen nicht gänzlich.

Die Ergebnisse des zweiten Freiwilligensurvey¹ zeigen deutlich diese Gemengelage der Motive für ein ehrenamtliches Engagement auf, wobei der Wertewandel in der Gesellschaft auch auf die Älteren und ihr Verhalten durchschlägt. Als Motive für freiwillige Aktivitäten benennen SeniorInnen zu 86 % „(...) etwas zu tun, was einen sinnvollen Lebensinhalt ergibt“ und ebenfalls 86 % „(...) etwas aktiv mit zu gestalten von dem ich überzeugt bin, dass ich anderen Menschen dadurch Hilfe leiste“. 83 % antworten in der Befragung „(...) ich will etwas für mich und andere tun“ und 77 % der Befragten äußern, dass es ihnen wichtig sei, das Gefühl zu haben, zu einer Gemeinschaft zu gehören.

Deutlich werden hier und an den sonstigen Ergebnissen des Freiwilligensurvey eine Relativierung von Pflicht- und Akzeptanzwerten sowie eine Zuwendung zu Selbstentfaltungswerten. Zuerst für sich selber, aber im Rahmen dessen auch für andere aktiv zu sein: Eine solche Kombination – das wäre das Fazit – bietet die höchste Attraktivität, um sich auch im Alter ehrenamtlich bzw. bürgerschaftlich zu betätigen, wobei die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesen Themen auch hervorheben, dass in der Personengruppe der 60-70-Jährigen die Bereitschaft zum Engagement nicht geringer ist als in anderen Altersgruppen.

Vor diesem Hintergrund stellte sich für ARBEIT UND LEBEN die Frage, wie mit Hilfe von Bildungsarbeit neue Engagementformen entwickelt und implementiert werden können, die den oben skizzierten Bedürfnissen der heutigen Generation älterer Menschen besser entsprechen. Das MoQua Projekt versucht eine mögliche Antwort auf diese Frage zu geben.

Als Zielgruppe haben wir uns dabei auf Vorruheständler, Frauen und Männer in der ersten Phase des Ruhestands und ältere Arbeitslose, vorrangig Gewerkschaftsmitglieder konzentriert. Das liegt bei einer Einrichtung wie ARBEIT UND LEBEN nahe, hat aber auch einen zusätzlichen guten Grund: Gerade Großorganisationen wie die Gewerkschaften werden durch den geschilderten Strukturwandel des Ehrenamtes in Kombination mit dem demografischen Wandel vor besondere Herausforderungen gestellt. Die Formen der Partizipation und die Möglichkeiten des Engagements, die sie bieten, werden meist als nicht mehr als zeitgemäß und damit als wenig attraktiv empfunden. Sie sind für jüngere, aber auch für ältere Menschen nicht selbst bestimmt und partizipativ genug, sie sind oft zu verpflichtend und lassen zu wenig Raum und Zeit für die eigenen Bedürfnisse. Nicht von ungefähr kehren viele Gewerkschaftsmitglieder, wenn sie aus der Arbeit ausscheiden, ihren Organisationen den Rücken. Das ist für die Gewerkschaften ein Problem, denn innerhalb ihrer Organisationen steigt die Zahl der älteren Mitglieder stetig an. Mittlerweile sind 18 % der Gewerkschaftsmitglieder Frauen und Männer im Ruhestand. Hinzu kommen die zahlreichen Vorruheständler (insbesondere in den neuen Ländern) sowie zahlreiche ältere Arbeitslose.

Diese möglichst als Mitglieder in der Organisation, vor allem aber aktiv zu halten, ist für uns ein weiterer Anlass gewesen, zu fragen, wie es gelingen kann via Bildungsarbeit, neue Formen des Engagements in der nachberuflichen Phase zu entwickeln und auszugestalten, die nicht nur auf „Funktionärstätigkeiten“ hinaus laufen, sondern Teil von Initiativbewegungen in Kommune und der Region sind und gleichzeitig ggf. neue Impulse für die Arbeit nach innen geben.

Als Einrichtung der politischen Weiterbildung gibt es für ARBEIT UND LEBEN noch einen letzten wichtigen Grund das hier vorgestellte Modellprojekt zu initiieren: Im Sinne einer nachhaltigen und zivilgesellschaftlich orientierten Demokratieentwicklung, der sich unsere Einrichtung verpflichtet fühlt, ist es gerade in der gegenwärtigen Situation dringend notwendig, die vielen (häufig genug vorzeitig) aus dem Arbeitsprozess ausgeschiedenen älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger auch in ihrer nachberuflichen Phase aktiv an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen. Dabei kommt es besonders darauf an, diese älteren Menschen nicht auf vermeintlich typische Altersthemen zu reduzieren, sondern ihnen die Gelegenheit zu geben, sich mit ihren Erfahrungen, Vorstellungen und Ideen für die gesellschaftliche und kulturelle Zukunftsgestaltung auch öffentlich einzubringen. In diesem Sinne orientieren sich die Maßnahmen unseres Projekts an dem von Andreas Kruse formulierten Konzepts einer „mitverantwortlichen Lebensführung“.

Nach Kruse ist „eine große gesellschaftliche wie kulturelle Herausforderung – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels – darin zu sehen, dass wir ältere Menschen viel stärker als mitverantwortlich handelnde Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ansprechen, dass wir also das Alter auch in seiner großen gesellschaftlichen Bedeutung thematisieren, das heißt auch: die gesellschaftlichen Altersbilder müssten sich in der Hinsicht wandeln, dass mit Alter nicht nur Belastungen assoziiert werden, sondern auch das Potential zu gesellschaftlicher Produktivität und Kreativität.

Daran gekoppelt ist eben auch (schreibt Kruse weiter) die Idee, ein Altersbild zu kommunizieren, welches nicht nur die Schwächen und Risiken sondern auch die Stärken und Ressourcen dieser Lebensphase betont und in diesem Kontext älteren Menschen – entweder innerhalb der Arbeitswelt oder im Bereich des bürgerschaftliche Engagements – neue soziale Rollen zu übertragen, die von den Älteren selbst wie auch von der Gesellschaft als „sinnstiftend“ und „produktiv“ gedeutet werden“².

Dass dies nicht nur der abgehobene Wunsch eines Theoretikers ist, sondern relativ exakt die Interessen vieler älterer Menschen in der Gegenwart trifft, zeigt der zweite Freiwilligensurvey. Er macht deutlich, dass ältere Menschen den möglichen Handlungsraum für ein freiwilliges Engagement nicht nur im privaten, sondern gerade auch im öffentlichen Raum sehen. 70 % der Befragten in der Alterskohorte ab dem 60. Lebensjahr betonen, dass sie durch ihr Engagement „die Gesellschaft zumindest im kleinen mitgestalten“ möchten. Immerhin 27 % der Befragten sehen in ihrem Engagement durchaus „eine Form von politischen Engagement“³.

Zusammengenommen sind es also vier Aspekte, auf denen die Überlegungen für das Projekt „MoQua“ basieren. Es geht darum, die Potenziale des Alters zu stärken und damit die Chancen des demografischen Wandels herauszustellen, Veränderungen in der individuellenMotivation für ein freiwilliges Engagement wahrzunehmen, spezifische Problemlagen in Großorganisationen hinsichtlich der Engagementförderung älterer Mitglieder aufzunehmen und dafür Lösungen anzubieten. Und last but not least geht es darum, ältere Menschen vermehrt in die Gestaltung des Gemeinwesens, vor allem ihres Nahbereichs einzubeziehen – und das alles mit den Mitteln und Methoden der politischen Bildungsarbeit, deren Grenzen wir im weiteren Verfolg desMoQua-Projekts – immer dann, wenn es die Sache erforderte – bewusst überschritten haben.

 
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II. Das Projekt

Ausgehend von diesen Überlegungen hat der Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN das Modellprojekt MoQua initiiert und durchgeführt. Gefördert wurden die Aktivitäten für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

MoQua verfolgte dabei von Anfang an einen dezentralen Ansatz. Umgesetzt wurden seine einzelnen Vorhaben von ARBEIT UND LEBEN Einrichtungen in acht Bundesländern. Beteiligt waren die AL-Einrichtungen in:

  • Berlin/Brandenburg
  • Bremen
  • Hamburg
  • Hessen
  • Nordrhein-Westfalen
  • Niedersachsen
  • Sachsen-Anhalt und
  • Thüringen

Ziel des Projekts war es, mitHilfe von politischer Bildung und je sachbezogenerQualifizierung ein Konzept zur Professionalisierung für das bürgerschaftliche Engagement zu entwickeln und in der Praxis zu erproben.

Was die Zielgruppen des Projekts anbetrifft, haben wir uns auf den Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftliche Engagements“4 bezogen, in dem angeregt wird, dass Parteien und Gewerkschaften (B2.5.) durch neue Mitgliedsformen die Beteiligung der Mitglieder stärken und beleben sollten.&sup4; Demzufolge haben wir uns im MoQua-Projekt darauf konzentriert, Männer und Frauen anzusprechen, die im engeren und weiteren Sinne dem gewerkschaftlichen Kontext zu zuordnen sind. Angesprochen haben wir dabei folgende Personengruppen:

  • sogenannte „einfache“ Gewerkschaftsmitglieder,
  • ehemalige Personal- und Betriebsräte,
  • Männer und Frauen, die als Vertrauensleute
  • in den Betrieben aktiv waren,
  • ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
  • ältere Arbeitslose.

Die Teilnehmenden waren mithin sehr heterogen zusammengesetzt. Das verbindende Element war und ist aber deren Nähe zur Gewerkschaftsbewegung und in Teilbereichen auch die Erfahrung einer Funktionsausübung innerhalb der Gewerkschaften, wie aus dem folgenden Diagramm (Abb. 1) deutlich wird.

Die teilnehmenden Gruppen und Einzelpersonen kamen dabei mit unterschiedlichen beruflichen Vorerfahrungen in die Veranstaltungen. Die größte Gruppe der Teilnehmenden verfügte über eine Berufsausbildung und hatte während der beruflich aktiven Zeit als Facharbeiter oder Angestellte gearbeitet (Abb. 2).

Bezogen auf die Altersstruktur konnten wir zu knapp knapp 60% Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Alter zwischen 55 und 69 Jahren erreichen (Abb. 3).

Insofern haben wir – wie geplant – ältereMenschen im Vorruhestand und der ersten Phase des Ruhestands gewinnen können (Abb. 4).

Dabei waren bei einer Gesamtteilnemendenzahl von mehr als 600 Personen 46% Frauen und 54% Männer (Abb. 5).

Um die unterschiedlichen Personenkreise innerhalb der Zielgruppe anzusprechen wurden verschiedene Wege des Zugangs gewählt. ARBEIT UND LEBEN verfügt traditionell über ein gutes und stabiles Kontaktnetzwerk zu den verschiedenen Einzelgewerkschaften und zum DGB. Folgerichtig erfolgte die Ansprache in der Regel über einen Erstkontakt durch einen hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeiter. Auf diesem Wege konnten daneben notwendige Kenntnisse über bereits bestehende gewerkschaftliche Seniorengruppen oder Arbeitskreise, in denen Ältere tätig sind, eingeholt werden.

Darüber hinaus haben die kontaktieren Hauptamtlichen sowie die MitarbeiterInnen von AL vielfältige Kontakte z. B. zu Arbeitsloseninitiativen bzw. anderen gewerkschaftlichen Gruppen geknüpft, von denen bekannt war, dass sie ein potenzielles Interesse an der Qualifizierung ihres ehrenamtlichen oder bürgerschaftlichen Engagements hatten. Zusätzlich ist das Angebot über so genannte offene Ausschreibungen erfolgt, mit denen für Veranstaltungen im Rahmen von „MoQua“ geworben wurde.

Diese Zugänge, geprägt von einem komplementären Miteinander von Nachfrage- und Angebotselementen, haben sich als erfolgreich erwiesen. Eine wesentliche Gelingensbedingung war dabei die Tatsache, dass mit fast allen Aktivitäten an vorhandene Strukturen „angedockt“ werden konnte. Vor allem weil die Ansprechpartner bekannt und vertraut waren, konnten Einzelpersonen oder kleinere Gruppen, wenn auch durch die persönliche zeitaufwändige Ansprache, motiviert werden, sich auf neue „Lernerfahrungen“ einzulassen. Für sie war diese persönliche Ansprache – wie sie später zurückmeldeten – ein zentrales Moment für ihre Motivation im Projekt mitzumachen, überhaupt „wahrgenommen“ und damit aus einer gewissen Isolation herausgeholt zu werden. Die damit indirekt verbundene „Zuschreibung“, als Persönlichkeit, mit wertvollen Potenzialen und Fähigkeiten ernst genommen zu werden, hat im Sinne von individueller Stärkung gewirkt, zusätzlich Selbstvertrauen geschaffen und über manche schwierige Anfangsmomente in den entstehenden „MoQua-Gruppen“ hinweggeholfen.

 
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III. Basiswissen und Praxisfelder des bürgerschaftlichen Engagements

Das MoQua-Weiterbildungskonzept hat zum Ziel, ältere Erwachsene zu motivieren und zu qualifizieren, damit sie ganz konkret in Feldern des ehrenamtlichen bzw. des bürgerschaftlichen Engagements wie z. B. in Gewerkschaften und im Gemeinwesen aktiv werden können.Dabei ist das Bildungskonzept so angelegt, dass sich Phasen von theoretischer Weiterbildung und praktischem Tun abwechseln, also Wissenserwerb, Reflexion, Einüben und Handeln sinnvoll ineinander übergehen. Das Curriculum ist so aufgebaut, dass insgesamt vier Kompetenzbereiche bearbeitet werden. Diese Kompetenzbereiche sind:

  1. Weiterbildungsangebote zu inhaltlichen Aspekten des demografischen Wandels und den damit verbundenen Szenarien möglicher gesellschaftspolitischer Entwicklungen. In diesem Kontext werden Themen wie: Alter und Altern aus gerontologischer, sozialer und politischer Perspektive bearbeitet; Fragen der Demokratieentwicklung und Beteiligungsmöglichkeiten thematisiert. (Fachliche Kompetenz)
  2. Weiterbildungsangebote zum Erwerb von didaktisch methodischen Kompetenzen. In diesen Bausteinen werden kommunikative und pädagogische Fertigkeiten und Fähigkeiten vermittelt und erprobt, wie z. B. Leitung von Gruppen, Gesprächsführung, Gruppendynamik, Umgang mit unterschiedlichen Lerntypen, Aufarbeitung von Inhalten unter didaktisch-methodischen Aspekten, Selbstorganisation und informelles Lernen. (Vermittlungskompetenz)
  3. Einen weiteren Kompetenzbereich haben wir unter dem Stichwort „Professionalisierung“ für das bürgerschaftliche Engagement gefasst. In diesem Kontext haben sich die Teilnehmenden mit Motivationsfragen für das Engagement, organisatorische und rechtliche Aspekte, „Formen“ der Zielgruppenansprache, Kooperation mit hauptamtlichen Beschäftigten, Kooperation mit anderen Einrichtungen im Gemeinwesen beschäftigt; ebenso mit Fragen der Öffentlichkeitsarbeit und der Akquisition von Finanzmitteln für das Engagement. (Sachkompetenz)
  4. Im vierten Kompetenzbereich geht es darum – weitesgehend – selbst organisierte eigene Engagementfelder zu generieren und sie in entsprechenden Gruppenkontexten zu initiieren und Aktivitäten praktisch umzusetzen. (Selbstorganisationskompetenz)

Idealtypisch sind wir davon ausgegangen, dass so etwas wie ein „Basiswissen“ erworben wird und danach bzw. besser noch parallel dazu eine „Praxisumsetzung“ in einem Engagementfeld erfolgt.

Dieses Konzept sieht bewusst keinModul zum Thema „Motivation“ vor.Wir haben ausgehend von Vorgesprächen und Erfahrungen darauf verzichtet, weil wir uns an Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewandt haben, die sich in ihrer Mehrheit durch ihre Vorerfahrungen und ihre Beteiligungszusage schon als hinreichend motiviert ausgewiesen hatten. Bestätigt wurden wir in dieser Annahme durch eine Telefonbefragung bei einer gewerkschaftlichen Klientel, die der unseren ganz ähnlich war und die wir zu den Voraussetzungen für ein freiwilliges Engagement befragten&sup5;. Bei unserer Teilnehmendenstruktur konnten wir darüber hinaus davon ausgehen, dass eine beachtliche „Grundmotivation“ vorhanden war, sich über das gewerkschaftliche Engagement hinaus ins Gemeinwesen einzubringen.

Unser Weiterbildungskonzept ist ferner dadurch charakterisiert, dass es kein eigenständiges Reflexionsmodul gibt. Wir haben es vielmehr vorgezogen, die Reflexion über die Aneignung der jeweiligen Bildungsinhalte und das daraus resultierende Handeln unmittelbar in den Weiterbildungs- und Gruppenbildungsprozess zu integrieren.

Schließlich ist unser Weiterbildungskonzept nicht eng auf bestimmte Rollen und die damit verbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten (Führungsrolle, ausführende Ebene) zugeschnitten. Es ist vielmehr weitergefasst und überlässt es dem Gruppenprozess bzw. den jeweiligen persönlichen Interessen, wie sich in der Praxis die verschiedenen Rollen bzw. Formen der Mitarbeit in den verschiedenen Engagementfeldern entwickeln. Dieses Vorgehen hat sich für unseren spezifischen Kontext insofern angeboten, weil die meisten Teilnehmenden aus gewerkschaftlichen Strukturen kamen und mit ihrem im Projekt erworbenem neuen Wissen und Können wieder in ihre jeweilige Struktur hineingingen. Dort fanden die neuen Kompetenzen dann ihre je konkrete Anbindung und Ausprägung.

Den Rahmen unseres Bildungskonzepts bildet das sogenannte Basiswissen. Dabei ist der Wandel vom Ehrenamt zum bürgerschaftlichen Engagement genauso thematisiert worden wie der demografischeWandel und derWandel des Alters in unserer Gesellschaft. Zum Basiswissen gehören aber ebenso Professionalisierungselemente die sich auf Methoden, Instrumente und Arbeitsansätze des bürgerschaftlichen Engagements beziehen. Schließlich wird das Basiswissen komplettiert durch das Kennenlernen von Strukturen, Akteuren und möglichen Inhalten der ehrenamtlichen Arbeit.

Daran setzen die Praxisfelder an, die Engagementfeldern abbilden, welche die Teilnehmenden selbst gewählt haben. Diese Engagementfelder stellen gleichzeitig einen Ausschnitt der Möglichkeiten dar, in denen ältere Menschen aktiv werden können. Vorgestellt werden in diesem Buch Praxisfelder wie die Gewerkschaften, die Schule, der Stadtteil, aber auch Arbeitsfelder wie das politische Theater, die Öffentlichkeitsarbeit, die Printmedien, das Bürgerradio und die Erwachsenenbildung.

Über diese Praxisbeispiele hinaus sind im Kontext des MoQua-Projekts Erfahrungen in weiteren Engagementfeldern umgesetzt worden. Zu nennen sind hier insbesondere die Aktivitäten an den Projektstandorten in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg. In NRW wurden die Engagementfelder wie Städtepartnerschaften und die Kommunalpolitik aktiv bearbeitet. Ein Schwerpunkt der Arbeit in Hamburg bestand darin, ältere GewerkschafterInnen für ein Engagement im „Museum der Arbeit“ zu qualifizieren. Darüber hinaus wurde dort intensiv an einer „intergenerativen Vernetzung“ gearbeitet.

 
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IV. Anerkennungskultur

Es wird oft übersehen, dass es zu den Gelingensbedingungen gerade vonWeiterbildungsprojekten gehört, die Leistungen der Teilnehmenden auch symbolisch angemessen anzuerkennen. In der Entwicklung und Umsetzung des Weiterbildungskonzepts „MoQua“ haben wir uns deshalb intensiv mit der Frage auseinander gesetzt, welche Formen der Anerkennungskultur wir für die Teilnehmenden entwickeln und umsetzen möchten. Ausgangspunkt für diese Diskussion waren u. a. die Erkenntnisse aus dem zweiten Freiwilligensurvey, in dem ältere Menschen auch zum Themenfeld „Anerkennung“ befragt wurden. Dort wird festgehalten, dass rund 30 % der ab 60-Jährigen eine mangelnde Anerkennung ihrer Tätigkeit durch die „Hauptamtlichen“ beklagen, etwa ¼ der Befragten Älteren sucht mehr öffentliche Anerkennung, z. B. in Form von Ehrungen. Dieser Wunsch wurde deutlich mehr im Osten 33 % als im Westen 22 % geäußert&sup6;.

Die Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ empfiehlt folgerichtig, dass es stärker „um das Sichtbarmachen des Engagements in der Öffentlichkeit“ gehen müsse&sup7;. Dieser Befund schließt unmittelbar auch an die Interessen und Bedürfnisse der Aktiven an. 25 % der Befragten im Freiwilligen-Survey äußern unter anderem, dass sie Interesse an einem Tätigkeitsnachweis haben.

Die Ergebnisse waren für uns Anlass genug, die Frage der Anerkennungskultur zu einem Thema in der Engagementförderung zu machen.

Davon ausgehend haben wir uns für zwei Anerkennungsformen entschieden:

  • a) den überregionalen Erfahrungsaustausch der bürgerschaftlich Aktiven und
  • b) die Vergabe eines Zertifikats.

Bei den überregionalen Veranstaltungen haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den acht beteiligten Bundesländern getroffen, um sich wechselseitig über ihre konkreten Erfahrungen auszutauschen. Dieses Angebot ist mit überragendem Erfolg von den Teilnehmenden angenommen worden. In den Rückmeldungen wird sehr deutlich, dass die Zielgruppe eine solche Art der Veranstaltung als Anerkennung ihrer alltäglichen Arbeit wertschätzen kann. Positiv hervorgehoben wird auch, dass der Austausch mit anderen Ehrenamtlichen, die in andere Projekte eingebunden sind, einen produktiven und motivierenden Effekt hat, neue Anregungen ermöglicht und das eigene Handeln in ein „großes Ganzes“ einordnet. Neben dem Erfahrungsaustausch kommt als weiteres erfolgsträchtiges Moment hinzu, dass wir für diese Veranstaltungen attraktive Städte im Bundesgebiet auswählten und z. B. mit Stadtführungen die Möglichkeit boten, diese Städte näher kennen zu lernen. Diese Form der Anerkennung setzen wir auch nach Abschluss des Projekts fort. Wir beabsichtigen, die weiter bestehendenGruppen einmal jährlich zu einem Austausch einzuladen.

Überdies haben wir ein Zertifikat entwickelt, das detailliert und in der Form sehr ansprechend dokumentiert, welche Weiterbildungsmaßnahmen die einzelnen Teilnehmenden durchlaufen haben. Dieser/ s Engagementnachweis/ Zertifikat bietet dabei verschiedene Anerkennungsmomente, die der

  • Selbstvergewisserung,
  • Selbstbestätigung und
  • Anerkennung dienen und die darüber hinaus
  • das freiwillige bürgerschaftliche Engagement als wichtigesMoment für die Entwicklung unserer Gesellschaft bestätigen.

Unser „MoQua“-Zertifikat haben wir nach den vorstehenden Überlegungen der „Akademie für Ehrenamtlichkeit“/Berlin erarbeitet. In ihm wird dokumentiert,

  • welche Weiterbildungsmodule die einzelnen Teilnehmenden durchlaufen haben,
  • in welchem Engagementfeld die jeweiligen Personen aktiv geworden sind.

Ein anerkennender Hinweis darauf, dass die individuelle Tätigkeit jedes einzelnen Teilnehmenden einen positiven Wert für das Gemeinwohl hat, schließt das jeweilige Zertifikat ab.

Die beiden abgebildeten Beispiele zeigen wie solche Zertifikate aussehen können.

Im Rahmen der Transfertagung wurden insgesamt 84 Zertifikate verliehen. Weitere Zertifikate wurden in regionalen Workshops an den Projektstandorten vergeben. In den ARBEIT UND LEBEN Einrichtungen wird das Qualifizierungsprogramm fortgeführt, so dass auch später Teilnehmende ein Zertifikat erhalten können.

 
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V. Veranstaltungsformen

Für die Umsetzung der verschiedenen Weiterbildungsangebote gab es keine Vorgaben. Die Formate konnten frei gewählt werden. Das hat sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen. Die Spannbreite der Veranstaltungen reicht von kontinuierlichen stattfindenden wöchentlichen Treffen mit einerDauer von zwei bis drei Stunden, über Halbtages- und Tagesveranstaltungen, mehrtätige Seminare wie z. B. Wochenendseminare bis hin zu fünftägigen Wochenseminaren.

Die Angebotsformen haben sich dabei an den Bedürfnissen der Teilnehmenden orientiert, darüber hinaus aber auch an den Notwendigkeiten und „Sachzwängen“ der verschiedenen Engagementfelder. So ist z. B. die Gruppe der „gewerkschaftlichen Lokalreporter“ auf Grund ihrer selbst gestellten Aufgabe, einmal proWoche eine Sendung zu platzieren, dazu übergegangen, die notwendigen Qualifizierungen auch im wöchentlichen Rhythmus zu absolvieren. Ein ähnliches Vorgehen hat sich auch für die Theater- sowie für die Zeitungsgruppe als angemessen erwiesen. Die Art und Weise des spezifischen Engagements hat auch hier Form, Inhalt und Abfolge der Weiterbildungs- Inputs und der Reflexionsphasen bestimmt.

Anders gearbeitet wurde bei der Qualifizierung von SeniorInnen als Teamende für die Erwachsenenbildung. Hier hat es sich als richtig herausgestellt, mehrtägige Veranstaltungen durchzuführen, um in einem kompakten Block die verschiedenen Arbeitseinheiten mit den Teilnehmenden durchführen zu können. Solche mehrtägigen Veranstaltungsformen haben sich auch immer dann als erfolgreich erwiesen, wenn die Gruppen schon etwas zusammengewachsen waren und eigenständig einen konkreten fest umrissenen Bedarf an Qualifizierung einforderten.

Insgesamt hatte diese Vorgehensweise für die hauptamtlichen MitarbeiterInnen von ARBEIT UND LEBEN allerdings auch die Folge, sich mit den Gruppen eng abzustimmen und deren Bedürfnisse als Planungsgrundlagen sehr ernst zu nehmen.

 
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VI. Didaktisch-methodische Ansatzpunkte

In der Umsetzung der einzelnen Qualifizierungsmodule haben wir auf eine breite Palette von Methoden aus unterschiedlichen Bereichen der Bildungsarbeit und angrenzender Bereiche zurückgegriffen. Insbesondere bei den mehrtägigen Veranstaltungen haben wir das breite Methodenrepertoire der Erwachsenenbildung genutzt. Dabei spielten „traditionelle“ Formen wie Vortrag, Plenumsdiskussionen, Textbearbeitung ebenso eine Rolle wie Biografiearbeit, Rollenspiele, Zukunftswerkstätten und Kleingruppenarbeit. Dieses Vorgehen knüpfte direkt an Vorerfahrungen vieler Teilnehmenden an, die sie in der Erwachsenenbildung bereits gesammelt hatten.

Daneben haben wir aber auch mit Ansätzen gearbeitet, die stärker aus dem Bereich der Altersbildung und der Initiativbewegungen selbstorganisierter Gruppen stammen. Zentraler Bezugspunkt war dabei das so genannte „Erfahrungswissen“, das in der Altersbildung eine zentrale Rolle spielt. Gemeint ist damit jenesWissen, das man sich nicht über Hörensagen oder über ein Medium aneignet, sondern das durch die unmittelbare, in einer spezifischen Anwendungssituation erworbene Erfahrung erworben wird. Elemente des Erfahrungswissens sind dabei das Kontextwissen (über lokale, soziale und organisationelle Zusammenhänge) und das Berufswissen&sup8;. Für die Teilnehmenden unseres Projekts war beides von hoher Bedeutung. Sie nutzten das spezifische Wissen aus ihren vormaligen Berufsrollen und ihren gegenwärtigen Kontexten. Für die Umsetzung in einigen Engagementfeldern spielten z. B. Fragen nach den Personen, die in den jeweiligen Handlungskontexten weiterhelfen konnten, eine ausschlaggebenden Rolle. Dazu kamen Fragen wie: Wer kann weiterhelfen bei meinem Anliegen? An welche Beziehungsnetze kann angeknüpft werden, um mit meiner neuen Idee zu starten und erfolgreich zu sein?

Die Reflexion über Einsatz und Optimierung solchen Kontextwissens, spielte für unsere Zielgruppe eine ganz zentrale Rolle, da der Ansatz unter anderem darin bestand, mit innovativen Ideen in bekannten Strukturen (Gewerkschaften oder Gemeinwesen) aktiv zu werden und nachhaltig aktiv zu bleiben.

Das sogenannte „Berufswissen“ wurde in anderen Bereichen stärker genutzt, beispielsweise im Engagementfeld Schule sowie beim Aufbau von selbstorganisierten gewerkschaftlichen Gruppen. Hier konnte insbesondere mit der Zielgruppe der ehemaligen Personal- und Betriebsräte an berufliche hauptamtliche Vorerfahrungen angeknüpft werden.

Neben denMethodenrepertoire aus der Erwachsenenbildung und Elementen aus dem Bereich des Erfahrungswissens spielte darüber hinaus das prozessorientierte Arbeiten eine wichtige Rolle bei der Umsetzung in die Praxis. Das hing auch damit zusammen, dass sich einige Lerngruppen als „selbstorganisierte Gruppen“ definierten. Sie hatten bewusst selbst gesteuert gearbeitet und – als Folge davon – je nach Bedarf Expertise und fachlichen Input durch organisierte Bildung oder hauptamtliche MitarbeiterInnen angefordert.

Aus dem Gesagten wird ersichtlich, dass im „MoQua-Projekt“ die einzelnen Qualifizierungsmodule mit einem breiten methodischen „Crossover-Ansatz“ umgesetzt wurden. Dabei folgten die Methoden dem mit den Teilnehmenden abgestimmten Weiterbildungsauftrag. Je nach Orientierung der inhaltlichen Engagementfelder und der Vorerfahrungen der Zielgruppen wurden stärker klassische Methoden der Erwachsenenbildung oder prozessorientierte Ansätze wie bei Initiativgruppen üblich eingesetzt. Im Ergebnis hat sich dieser weniger lehrgangsorientierte denn prozessund bedarfsorientierte Mix als erfolgreich erwiesen, vor allem weil er den Bedürfnissen und der Motivation der Teilnehmenden entgegen kam.

Dieses Arrangement von unterschiedlichen pädagogischen Vorgehensweisen war in der Praxis ebenso ertragreich und nachhaltig wirksam, wie das komplementäre Miteinander von Nachfrage- und Angebotsstrukturen und die situationsgerechte Verknüpfung von Kompetenzerwerb und Reflexion, neuemWissen und Erfahrungswissen.

  1. Siehe dazu: Freiwilliges Engagement in Deutschland von älteren Menschen. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichen Engagement, durchgeführt im Auftrag des BMFSFJ, vorgelegt von TNS Infratest Sozialforschung.
  2. Kruse, Andreas: Weisheit und Alter? Wie man die Stärken des Alters nutzen kann, in: Neuro 2004 Hirnforschung für die Zukunft, Dokumentation des Kongress des Wissenschaftszentrum NRW und des Kompetenznetzwerks Neuro NRW, Köln 2005, S. 73.
  3. Vgl. Freiwilligen-Survey, S. 303-346.
  4. Siehe dazu: Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags, Bericht: Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft“, Opladen 2002, S.19 (insgesamt Kapitel B 2.5).
  5. Dokumentiert sind die Befragungsergebnisse in der Broschüre: Bildung für ein gemeinwesenorientiertes freiwilliges Engagement im Alter, Bezug: Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN.
  6. Vgl. Freiwilligen-Survey
  7. Siehe dazu Bericht der Enquete-Kommission a. a. v., S. 21.
  8. Kade, Sylvia: Altern und Bildung. Eine Einführung, Bielefeld 2006, S. 208
  9.  
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